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© Gisela und Joachim Petersen
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"Es ist für uns wichtig zu zeigen, dass wir weitermachen, weiterkämpfen."

(Nachfolgend veröffentlichen wir Auszüge aus der Ansprache, welche die französische Atomkraftgegnerin und Aktivistin Cécile am 07.11.05 anlässlich des sich jährenden Todestages von Sébastien Briat während einer Mahnwache am Lüneburger Bahnhof in freier Rede gehalten hat.

Wegen des Umfangs der Rede (45 Minuten), haben wir Kürzungen und daher auch Umstellungen vorgenommen.)

"Wir sind hier zu einer Mahnwache zum Todestag von Sébastien Briat zusammengekommen. Er ist genau vor einem Jahr in Avricourt in Lothringen ums Leben gekommen. Er wurde vom Castorzug überrollt. Das war für uns in Frankreich eine schreckliche Nachricht.

Ich selber bin seit ein paar Jahren in Frankreich in der Anti-Atombewegung aktiv und war bei der ersten Ankettaktion beteiligt und wurde in Gewahrsam genommen. Dort kam die Polizei zu mir in die Zelle und sagte, dass ein guter Freund von mir vom Zug überrollt worden sei. Der Polizist hat damals richtig gegrinst. Ich wusste nicht, ob das wahr war oder nicht. Ich war sehr schockiert und danach haben wir darüber diskutiert. Das war sehr schwer für uns alle, weil die Umstände nicht so klar waren. Aber es hat sich erwiesen, dass Sébastien gar nicht angekettet war, wie überall geschrieben wurde. Vier Leute hatten sich dort auf die Schienen gelegt, und als sie festgestellt hatten, dass der Zug nicht bremst, sind sie aufgestanden und geflohen. Nur Sébastien hat etwas mehr Zeit gebraucht als ein oder zwei Sekunden und er befand sich schon neben den Schienen. Aber, wie man weiß, ist die Lokomotive breiter als die Schiene selbst, und so wurde er überrrollt. Das Bein wurde ihm dabei abgetrennt, und er ist daran gestorben.

Über die genauen Umstände weiß nichts Genaues. Ich kann nicht an Stelle der Menschen sprechen, die dabei waren. Ich weiß nur, dass der Hubschrauber nicht dabei war. Er war zum Tanken geflogen. Die Stoppergruppe konnte nicht handeln, weil die Polizei entlang der Strecke auf der Straße zwischen Wald und Schiene gefahren ist. Sie fuhr nur ein paar Sekunden dem Zug voraus, so dass die Stoppergruppe nicht zur Schiene gelangen konnte, um den Zug zum Bremsen zu bringen. So ist es geschehen, dass der Zug mit voller Geschwindigkeit zur Blockadestelle gefahren ist und dass der Zugführer ziemlich spät gebremst hat. Man muss wissen, dass neben dem Lokführer jemand von der Polizei steht, der sagen darf, du bremst nicht gleich. Normalerweise gibt es bei der Bahngesellschaft Vorschriften, wenn Menschen neben der Strecke sind. Die Züge müssen dann langsamer fahren. Weil der Hubschrauber nicht da war, hätte er auch langsamer fahren müssen. Aber wenn die Polizei sagt, nein er habe jetzt schnell zu fahren, dann fährt er auch schnell. Er darf nur ausnahmsweise 100 km/h fahren, wenn er offiziell Verspätung hat. Aber es besteht immer die Ausnahme, weil er immer Verspätung hat.

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Die Ermittlungen sind mit dem Ergebnis abgeschlossen worden, dass es am Ende von der Behörde hieß, nein - selber Schuld! Die Familie hat keine Entschädigung bekommen, sondern nur das Geld, das weltweit, sogar aus Korea, gespendet worden war. Mehr haben sie leider nicht gekriegt. Wir von der Anti-Atombewegung sehen nur, dass man den Tod von Sébastien in Kauf genommen hat. Für die COGEMA ist das ein Kollateralschaden. Die nehmen das einfach in Kauf. Sie hatten sogar in einer Pressemitteilung nach dem Vorfall geschrieben, dass der Zug ohne Zwischenfall in Gorleben angekommen ist. Selber schuld, das ist die Behauptung von der COGEMA.

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Das war für uns alle richtig schwer. Wir haben ein paar Monate gebraucht, um das zu verarbeiten.

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In Frankreich finden heute auch Mahnwachen statt. Das Netzwerk Atomausstieg hat auch beschlossen, den Fahrplan für Frankreich zu veröffentlichen. Demnach wird der Zug am 19. November aus La Hague um 17.20 Uhr losfahren und am Tag darauf gegen Mittag an der deutschen Grenze sein. Das dürfen wir normalerweise nicht veröffentlichen. Diese Informationen stehen seit Sommer 2003 unter Verteidigungsgeheimnis. Wir haben dieses Jahr gesagt, wir machen das trotzdem.

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(Auf den Hinweis aus der Gruppe, die Aktivisten würden sich wohl in Zukunft weiterhin gegegenüber Sébastien verpflichtet fühlen, ihren Widerstand fortzusetzen, antwortete Cécile:) Das ist schon die Botschaft, das ist sehr wichtig! Es hat noch eine Blockade stattgefunden beim letzten Castor (aus dem AKW Stade) nach La Hague. Das war im April genau am 19. Jahrestag von Tschernobyl, am Tag darauf am 27. April. Da haben sich zwei Deutsche und zwei Franzosen in Lothringen an die Schienen gekettet. Es war für uns wichtig zu zeigen, dass wir weitermachen, weiterkämpfen. In der Gruppe waren auch Leute aus der Gruppe, die mit Sébastien waren, wie auch Leute aus unserer Gruppe.

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Dass Deutsche und Franzosen sich zusammen anketten, das ist ein Symbol und das ist ganz wichtig.

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Wir haben auch davon gelernt. Bei solchen Aktionen müssen wir noch mehr Sicherheitsmaßnahmen treffen: Mehrere Gruppen, die den Zug stoppen. Wenn eine Gruppe ausfällt, dann haben wir die zweite.

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Stopper sind Leute, die den Zug zum Bremsen bringen. Das ist ein internationales Signal: rotes und weißes Tuch. Die Blockierer ketten sich erst an, wenn der Zug hält. Ich selber habe mich erst angekettet, als ich die Polizei aus dem Zug aussteigen sah. Als sie zu mir kam, habe ich mich angekettet. Das Wichtigste sind also die Stopper. Ohne Stopper kann man keine Aktion durchführen.

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In Frankreich ist es sehr schwer gewesen, das (Geschehen um Sébastiens Tod) zu vermitteln. Warum? Weil der Castorzug nach Deutschland zurück fährt. Die Franzosen meinen, wir wollen den Müll von den Deutschen nicht haben. Und für uns war es superschwer und ist es immer noch zu argumentieren, La Hague oder die Halle in Gorleben - es gibt keine Lösung zur Endlagerung. Es gibt kein Endlager weltweit, und so lange es keine Lösung gibt für diesen Müll, ist es Blödsinn, diesen Müll hin- und herfahren zu lassen. La Hague ist schon so verseucht, da ist sowieso schon so viel Müll. Ich habe auch öfter über die Anti-Atombewegung in Deutschland erzählt, damit die Menschen auch begreifen, dass es keine Wiederaufarbeitunganlage in Deutschland gibt. Der Widerstand ist dort z.B. in Wackersdorf gegen die geplante Anlage so stark gewesen, dass die Lobby sich nicht durchsetzen konnte. Daher haben sie in Frankreich mit der COGEMA verhandelt. Und die ist damit zufrieden, weil sie damit viel Geld verdienen konnte und immer noch verdient.

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Wir verlangen, dass überhaupt keine Atommülltransporte stattfinden.

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Für Ostern am 15. April 2006 bereiten wir gerade eine große Versammlung wegen des geplanten Baus eines EPR-Reaktors in der Nähe von La Hague vor. Wir hoffen, dass auch Leute aus Deutschland zu uns kommen. Das ist sehr wichtig. Der Reaktor wird von der deutschen Firma Siemens mitgebaut und der Widerstand muss genau so international sein wie die Großkonzerne. Ich hoffe, dass viele Leute am 15. und 16. April nach Cherbourg kommen. Da werden Aufführungen stattfinden, Musik und Demos. Das Programm steht noch nicht ganz fest. Das alles ist in der Nähe von La Hague. Da ist alles verseucht in der Nähe. Das ist schrecklich. In der Gegend leben die Leute von der Atomkraft und sie sind ganz zufrieden, dass ein neues AKW gebaut wird. Das bedeutet noch mehr Geld und Arbeitsplätze. Daher ist es sehr schwer, vor Ort zu mobilisieren. Das hat nichts mit dem Wendland zu tun. Ich bin voll begeistert, wenn ich da im Wendland herumfahre und die ganzen Xse überall sehe. Aber das ist bei uns leider nicht der Fall."

Fotos von der Mahnwache

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