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"Wir demonstrieren gegen die AUTOritäre Stadtpolitik"

Ein Interview vom 09.01.07 mit Antiatom- und Umweltaktivist Karsten Hilsen anlässlich einer
Baumbesetzungsaktion in Lüneburg:
Wie lange dauert eure Aktion schon?

Die läuft schon seit letztem Donnerstag. Gegen zwei oder halbdrei sind wir in die Bäume geentert.

Wird die Zeit nicht lang, besonders nachts?

Nein, nachts überhaupt nicht, da kann man sich in den Schlafsack kuscheln. Da ist das dann ganz angenehm. Eine Nacht war ziemlich kalt, da waren wir im Regen nass geworden, weil wir neue Seile gespannt hatten und da mussten wir notgedrungen mit nassen Klamotten in die Schlafsäcke. Das war ziemlich hart. Ansonsten kann man nachts wunderbar schlafen. Die erste Nacht wiederum war ziemlich heftig, weil es da gestürmt hatte und wir rechnen für diese Nacht auch wieder mit einer Sturmnacht.

Wer sind die Initiatoren?

Es sind ein paar Leute, die sich gestört haben an der autoritären Stadtpolitik hier in Lüneburg, und da haben wir gedacht, wir müssen ein deutliches Zeichen setzen und haben uns genau diese Aktion genau an diesem Ort in dieser Form so ausgedacht, weil wir da mehrere Punkte gleichzeitig anschneiden können:

Zum einen hatte uns geärgert, dass die Stadt eine der wenigen Städte ist, in denen das Klettern auf Bäume verboten und mit einem Bußgeld belegt ist. Das wollen wir mit der Aktion konterkarieren, weil wir natürlich klettern. Es ist aber auch eine Demonstration. Wir haben halt mitgekriegt, dass die Stadt eine völlig verfehlte Autostraßenpolitik betreibt. Deshalb demonstrieren wir – wie wir geschrieben haben - gegen die AUTOritäre Stadtpolitik. Und wir wollen uns dafür einsetzen, dass die hier stehende alte Eiche erhalten bleibt.

Ihr habt Unterstützung von außen bekommen, also nicht nur von der lüneburger
Bevölkerung, sondern auch andere Kletteraktive sind hinzu gekommen?

Ja, ganz viele! Nicht nur in der Bundesrepublik sondern in ganz Europa gibt es Kletteraktivisten. Angefangen hat die Bewegung im Vereinigten Königreich auf der Insel. Dort haben die Leute mit genau solchen Aktionen, wie wir sie hier durchführen, gegen dieStraßenbaupolitik der damaligen Thatcher-Regierung demonstriert und protestiert und hatten damit einen durchschlagenden Erfolg. Das war eine richtige Massenbewegung, und sie haben damit erreicht, dass das Straßenbauprogramm um 90 % gekürzt und damit auf ein Zehntel reduziert worden ist. Also das war ein absolut irrsinniges Programm, das sich die Regierung vorgenommen hatte. Weil es schwierig war, die Bäume immer wieder freizuräumen für den Bau der Straßen, hatten sie damit einen guten Erfolg.

Die britischen AktivistInnen haben dann eine regelrechte Informations- und Fortbildungstour durch Europa aufs Festland gestartet. Sie sind u.a. auch durch Deutschland gekommen, da habe ich sie dann kennengelernt. Es sind viele Leute auch drüben gewesen und haben sich das angeguckt. Die ersten öffentlichen Erfolge hier haben wir gesehen beim Castortransport 1996, als drei Frauen, die das dort gelernt hatten, sich über die Castorstrecke gehängt und den Transport für mehrere Stunden aufgehalten hatten. Es gibt halt eine Menge KletteraktivistInnen.

Es hat sich herumgesprochen, dass wir hier eine wichtige Aktion machen und da hatten wir zum Beispiel jetzt Unterstützung aus Thüringen gehabt, aus Berlin und zwei Leute aus dem Schwarzwald. Zwei Schwaben waren auch für einen Tag und eine Nacht in dem Baum.

Hattet ihr selber mit dieser Resonanz gerechnet?

Nie und nimmer nicht! Wir sind hin und weg und völlig fasziniert von der unglaublichen Unterstützung, die wir hier von der Bevölkerung kriegen. Wir können nicht so viel essen, wie wir angeboten bekommen. Wir kriegen regelmäßig zweimal warme Mahlzeiten, jederzeit, wenn wir es brauchen, heißen Tee. Eine Familie hat die geniale Idee gehabt, uns Schaffelle für die Hängematten nach oben zu reichen. Dafür sind wir unglaublich dankbar, jetzt kuschelig in den Schaffellen zu schlafen.

Bekommt jetzt euere Aktion durch die große Resonanz bei der lüneburger Bevölkerung
und auch bei den Gruppen von außen ein größeres Gewicht gegenüber der Stadt?

Ich denke ja. Ich bin ein bisschen überrascht, wir hatten damit nicht gerechnet und wir waren eigentlich davon ausgegangen, dass die Stadt, so wie sie das ansonsten auch gemacht hatte, uns in relativ kurzer Zeit räumen würde. So hat sie uns erstmal gewähren lassen. Man hatte wohl angenommen, wir würden da nicht lange durchhalten wegen des Wetters. Wobei die Wettergötter und die Wetterfrösche auf unserer Seite sind. Das Wetter ist unglaublich milde, abgesehen von zwei Sturmnächten und ein bisschen Regen, und so lange das nicht friert, können wir das noch unheimlich lange durchhalten. Wir richten uns immer mehr darauf ein, und weil wir so viel Unterstützung haben, gibt uns das auch unglaublich viel Mut zum Weitermachen.

Glaubt ihr, die Eiche retten zu können?

Das wissen wir nicht. Ich möchte mal Punkte aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitieren, die ja gesagt haben, Demonstrationen und Versammlungen sind eine Stück ursprünglicher ungebändigter Demokratie, die geeignet sind, den politischen Alltag aus seiner Erstarrung zu lösen und auch im ziemlich späten Stadium noch verfehlte Entscheidungen zu revidieren. Und insofern haben wir vielleicht eine Chance. Praktisch ist das überhaupt keine Frage: Wenn man möchte, wird man immer Ideen finden, diese Eiche zu erhalten. Der Wille muss einfach da sein. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, zum Beispiel die Brücke anders aufzuteilen und die Eiche als grüne Insel stehen zu lassen. Mit ein bisschen Fantasie gibt es viele Möglichkeiten.

Hat der Oberbürgermeister Mädge sich hier schon einmal sehen lassen?

Nie! Indirekt ja, denn der Oberbürgermeister Mädge ist der Schirmherr der lüneburger Umwelt-Filmtage, die in vierzehn Tagen zum siebten Male stattfinden und da hat er ein Grußwort geschrieben und die Bürger aufgefordert, sich für die Umwelt einzusetzen und hat gesagt, jeder Einzelne muss überlegen, wie er sich in einer konkreten Situation für die Umwelt einsetzen kann und wir denken, genau das tun wir hier.

Das ist ja eine Steilvorlage für euch, die er euch gegeben hat, und ihr könnt ihn da
beim Wort nehmen.

Genau das tun wir. Das finden wir richtig Klasse. Es ist vielleicht noch ein bisschen utopisch, aber wir wollen im Baum durchhalten bis er da als Schirmherr erscheint und seine Rede hält.

Rechnet ihr damit, dass ihr von der Polizei geräumt oder gewaltsam heruntergeholt
werdet?

Ja, davon müssen wir ausgehen. Also entweder hat die Stadt ein Einsehen. Sie hat ja erklärt, das die Fällarbeiten noch wochenlang Zeit haben. Dann gibt es eine Möglichkeit, dass die Stadt uns zusichert, dass der Baum nicht gefällt wird. Dann könnten wir auf die Kletteraktion verzichten und den Baum verlassen. Und im anderen Falle bleiben wir einfach oben und werden freiwillig nicht heruntergehen. Wenn sie den Baum dann fällen wollen, dann werden sie uns mit Gewalt herunterholen müssen.

Das heißt, die Polizei muss dann mit Seilspezialisten kommen,
um euch da herunterzuholen.

Ja, ich will nicht allzuviel verraten. Wir kennen das natürlich. ROBIN WOOD hat das schon einige Male gemacht. Wir wissen, dass die Polizei inzwischen mehr Erfahrung hat, aber wir haben auch mehr Erfahrung mit den Aktionen der Polizei und wir haben uns da einiges ausgedacht, so dass es so einfach nicht sein wird!

Ich sehe, du trägst eine Weste von ROBIN WOOD. Bist du neuerdings Mitglied dort?

Das ist gar nicht mal so neu, schon seit einiger Zeit. Ich hab schon seit längerem Aktionen und auch das Klettertraining bei ROBIN WOOD mitgemacht.

Vielen Dank für das Interview.

©Interview und Fotos: subkontur, 9. Januar 2007



Baumbesetzung in Lüneburg
1 Antiatom- und Umweltaktivist Karsten Hilsen von ROBIN WOOD
Baumbesetzung in Lüneburg
2 Besetzte Eiche, die dem Neubau der Brücke zum Opfer fallen soll.
Baumbesetzung in Lüneburg
3 Die besetzte Eiche (links) und eine benachbarte Buche als Wohn- und Schlafbaum. Beide sind durch zwei Seile verbunden, so dass die hinter dem Bauzaun stehende Eiche jederzeit erreichbar ist.
Baumbesetzung in Lüneburg
4 In der Eiche Präsenz zeigen  
 
   
Baumbesetzung in Lüneburg
5 Auf dem Verbindungsseil zwischen beiden Bäumen
Baumbesetzung in Lüneburg
6 Aufenthalts- und Schlafgelegenheit in der benachbarten Buche
Baumbesetzung in Lüneburg
7 Trotz Dauerbesetzung keine Spur von Ermüdung
Baumbesetzung in Lüneburg
8 Guter Dinge ist auch die andere Aktivistin im Baum.
Baumbesetzung in Lüneburg
9 Ab und zu klettert Besuch in den Baum.
Baumbesetzung in Lüneburg
10 Dann gibt es eine kleine Lektion in Seiltechnik.


Zum Hintergrund der Aktion:
Trotz zahlreicher Alternativen, die von den Umweltverbänden NABU, BUND und vom Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA) vorgeschlagen wurden, hält die Stadt Lüneburg an dieser städtebaulichen und verkehrspolitischen Katastrophe fest: Eine VIERSPURIGE Straße vom Schifferwall bis zur Reichenbachbrücke am Rande der Altstadt, einschl. Fuß- und Radwege 21 Meter breit! Schon jetzt wirken Reichenbachstraße und -brücke und der Schifferwall wie eine Barriere am Rande des historischen Wasserviertels. Die Verkehrsbelastungen sind bereits jetzt an der Grenze des Zumutbaren, alte denkmalgeschützte Häuser weisen armdicke Risse auf. Mit Hilfe millionenschwerer Zuschüsse vom Land Niedersachsen wird diese Politik durchgeführt: Breitere Straßen für noch mehr Verkehr, Lärm, Abgase, Feinstaub und Erschütterungen. (Quelle: Pressemitteilung)
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Räumung der besetzten Eiche (15.01.07) enthält 20 Fotos

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